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Raum und Zeit: Kulissen in »Zeichen von Herbst« und »Gegenlicht«

Beitragsbild Raum und Zeit

Bei meinem Debütroman und seinem Nachfolger handelt es sich um Komplementärwerke, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Sie weisen sowohl Ähnlichkeiten als auch Gegensätzlichkeiten auf. In diesem Artikel will ich darlegen, wie die Settings und Handlungsverläufe der Romane das jeweilige Theme unterstreichen.

Das Setting eines guten Romans ist nicht einfach eine Kombination willkürlich zusammengewürfelter Elemente. Es ist so konstruiert, dass es zu Thema und Handlung passt. Figuren, Orte und Zeiten der Geschichte sollten aufeinander abgestimmt sein, um eine möglichst starke Gesamtwirkung zu erzielen.

Darüber hinaus sollten diese Elemente gewisse Interpretationsmöglichkeiten bieten. Mancher von uns wollte in der Schule vielleicht nicht einsehen, dass ein Schriftsteller sich bei allem etwas gedacht haben könnte. Spätestens wenn wir selbst schreiben, begreifen wir: Ich kann diesem Gegenstand irgendeine Farbe geben, die mir gefällt, aber das ist verschwendetes Potenzial. Eigentlich möchte ich mit meiner Wahl eine Aussage treffen. Ich möchte, dass Leser auch meine Geschichten wie in der Schule analysieren können, wenn sie Lust dazu haben, und dass sie dabei interessante Entdeckungen machen.

Es würde mich daher freuen, wenn meine Leser sich auf diese Weise mit meinen Werken beschäftigen. Deshalb will ich in diesem Artikel beispielhaft die Settings meiner beiden Romane Zeichen von Herbst und Gegenlicht erläutern – in der Hoffnung, dass die kurze Analyse euer Interesse weckt und – vielleicht bei einer zweiten Lektüre? – als Anknüpfungspunkt dienen kann.

Worum geht’s in den Romanen?

Beginnen wir mit Zusammenfassungen der Romanhandlungen. Auch wenn man sich bei der Erstellung eines Exposés viele Gedanken gemacht hat, fällt es nicht selten schwer, das Geschehen auf den Punkt zu bringen. Schließlich ist die Form des Romans – im Gegensatz zur Kurzgeschichte oder Novelle – dazu da, eine Fülle von Gedanken und Nebengeschichten unterzubringen. Hier also nur die wichtigsten Aspekte, die für eine Betrachtung der Settings relevant sind.

In meinem Debütroman Zeichen von Herbst geht es im Wesentlichen um neun Figuren, die ein Leben in der Abgeschiedenheit des sogenannten Palais, einem Anwesen, in dem es an nichts mangelt, aus verschiedenen Gründen mehr oder weniger nötig zu haben scheinen. Auf unterschiedlichen Wegen gelangen sie an diesen Ort (quasi Akt I) und lassen es sich dort gutgehen (quasi Akt II). Im Grunde ist das Ganze ein Experiment – das, so viel darf wohl verraten werden, für keinen der Beteiligten zum erhofften Ergebnis führt. Die Zeit im Palais findet ein jähes Ende und wird anschließend reflektiert (quasi Akt III).

Gegenlicht ist eine Geschichte über persönliche Entwicklung und Moral, gespickt mit aktuellen gesellschaftlichen Diskursen. Zwei junge Frauen, Romi und Novalie, unternehmen eine Reise, auf der sie einander und sich selbst besser kennen lernen. Durch den Kontrast der Charaktere und ihrer moralischen Einstellungen kommt es zunächst zu den erwartbaren Differenzen, dann allerdings finden unvorhergesehene Entwicklungen statt. Es scheint unklar, ob die Freundinnen eine Übereinkunft finden oder sich wieder entzweien werden.

Isolation und Stillstand in Zeichen von Herbst

Zeichen von Herbst ist eine Erzählung, die sich Zeit nimmt. Die »poetische« Sprache ist ein wichtiges stilistisches Element, um den künstlerischen Fokus und die idyllische Szenerie zu unterstreichen. Doch Kunst und Idylle haben ihre Schattenseiten, die im Laufe des Romans immer deutlicher zutagetreten: Inspirationslosigkeit kann einem Künstler zusetzen, und ein sorgenfreies Leben in einer ästhetisch ansprechenden Umgebung kann – so ist das menschliche Gehirn beschaffen – nur anfangs, im Kontrast zum Davor, Anlass zur Euphorie sein. Glück wird zur Gewohnheit (größtenteils), und die Flamme verlangt nach mehr.

Der Stillstand jeglicher Entwicklung, die der Eintönigkeit immerwährenden Glücks geschuldet ist, zeigt sich in den räumlichen Aspekten des Romans: Schauplatz des gesamten zweiten Aktes ist das Palais, das nicht nur aufgrund seiner abgeschiedenen Lage von der Außenwelt isoliert ist, sondern auch durch die Exklusivität des Zutritts. Durch die zwar nicht gerade beengten, doch überschaubaren Dimensionen des Handlungsortes nehmen die Figuren eine prominente Stellung ein; man könnte sagen, auch sie gehören zum Inventar. Die Zusammensetzung der Gesellschaft, die sich dort zusammenfindet, trägt zu dem Eindruck bei, sich außerhalb der eigentlichen Welt zu befinden: Jede Figur weist Eigenschaften auf, die sie von der Masse abheben und für ein simples Leben mehr oder weniger untauglich machen.

Die einzige räumliche Veränderung im Verlauf des zweiten Aktes geht von den Figuren selbst aus: Während man anfangs gemeinsam das Palais erkundet und die Dekadenz in geselliger Runde erlebt, findet man die Figuren gegen Ende vereinzelt vor. Diese Entwicklung hat ihren Höhepunkt darin, dass Niéve allein den Abstieg in die Tiefen des sogenannten Verlieses wagt, um dort, befreit nicht nur von der unmittelbaren Präsenz, sondern auch vom moralischen Urteil der anderen, ihre eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit durchzusetzen.

Reise und Charakterentwicklung in Gegenlicht

Etwas schneller und sprunghafter als der Debütroman ist Gegenlicht erzählt. Die Dynamik spiegelt sich in der Handlung wider, die sich auf die rasche persönliche Entwicklung der Figuren fokussiert. Diese ereignet sich im Rahmen einer Reise durch das Land. Die Ortswechsel sind dabei zahlreich. Während jedes Kapitel eine Station der Reise beinhaltet, sind diese Stationen wiederum in mehrere Schauplätze unterteilt. Hierin liegt ein großer Unterschied zum isolierten und zusammenhängenden Palais, der noch verstärkt wird durch die Tatsache, dass in Gegenlicht jeder neue Ort neue Nebenfiguren einführt.

Die Abfolge der besuchten Orte folgt im Übrigen dem Verlauf der persönlichen Entwicklung. Vom Familiären reist man ins Verborgene, dann ins Einsame (gleichzeitig, entsprechend den örtlichen Begebenheiten, der Gipfel der Entwicklung), dann ins Offene, Turbulente und ins Ungewöhnliche, vielleicht Einmalige, um anschließend wieder, grundlegend verändert, den Heimweg anzutreten. Zwischen den Stationen fügen sich kurze Szenen ein, die während der Fahrt stattfinden und den Wandel der Hauptfiguren und ihrer Interaktion unter weiteren Gesichtspunkten illustrieren.

Klimaxe als karikative Überspitzungen

Die Höhepunkte der Romane greifen die Bedeutung der jeweiligen Verortungen noch einmal auf.

Spoilerwarnung!

In Zeichen von Herbst endet das »Experiment« nicht, wie zu erwarten, durch ein leises Ausklingen aller Freude und die Erkenntnis, dass endloses Glück nicht existiert. Das Leben im Palais findet nicht durch eine innere Entwicklung, sondern durch einen äußeren Impuls ein Ende. Die Abgeschiedenheit und Isolation des Anwesens wird durchbrochen durch eine Gruppe von Eindringlingen, deren Motive in Kontrast stehen zu den Idealen der freigeistigen Künstler und Kunstinteressierten. Getreu dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn« versucht man, sich der Störenfriede zu entledigen, wie man zuvor bereits Monotonie und Melancholie zu unterdrücken versucht hatte. Ein weiterer Kontrast: Während Richard, der idealistische Organisator des Experiments, im höchsten Turm lebt, verbannt man die zerstörungswütigen Feinde in die Tiefen.

Der Höhepunkt von Gegenlicht – oder was ich als diesen bezeichnen würde – findet während der Reise statt. Wichtiger ist in diesem Fall jedoch das Danach, die Konsequenzen des klimaktischen Ereignisses: Wieder in der Heimat, kehren die Protagonistinnen nicht an die dem Leser bekannten Orte zurück. Novalie, die zuvor kaum je zu Hause anzutreffen war, lässt eben dort die Reise Revue passieren. Die introvertierte und zurückhaltende Romi verlässt hingegen ihre Komfortzone, um sich mit dem Künstler Elias zu etwas zu treffen, das einem Date nahekommt. So bestehen die anfänglichen Kontraste der Figuren auch am Ende des Romans, allerdings in umgekehrter Ausprägung.

Fazit

In der Schule mag die Interpretation von Romanen ein lästiges Unterfangen gewesen sein. Doch die aufmerksame Lektüre – auch zeitgenössischer Werke – kann sich lohnen. Viele Schriftsteller denken sich etwas bei ihren Settings, Strukturen und Stilmitteln, andere folgen dem persönlichen Geschmack, doch in beiden Fällen kann die Interpretation interessante Zusammenhänge zutagefördern – ob vom Autor beabsichtigt oder nicht – und das Verständnis für den Text vertiefen.

Die komplementären Kulissen meiner beiden Romane bilden nur einen Teil der Kontraste zwischen den Werken. Ich hoffe, dass ihr bei eurer Lektüre noch einige mehr findet.

Fun Fact am Ende

Zusätzlich zum Traum von der Romanverfilmung, den wohl jeder Autor hat, würde ich mich sehr darüber freuen, wenn meine Romane eines Tages in der Schule oder an der Uni besprochen würden. Die Chancen sind gering, ich weiß. Doch die Vorstellung spornt mich an, so zu schreiben, wie ich schreibe: über aktuelle und zeitlose Themen in geschliffener Sprache.

***

Wie ist es bei euch: Analysiert ihr Romane, wie ihr es im Unterricht getan hättet? Haltet ihr beim Lesen Ausschau nach Stilmitteln? Lasst ihr die Struktur am Ende noch einmal Revue passieren? Und wenn ihr selbst schreibt: Verlasst ihr euch durchweg auf eure Intuition oder konstruiert ihr eure Geschichten und Szenen, eure Kapitel und Phrasen so, wie es viele klassische Autoren vermutlich getan hätten?

Kommentare (2)

  1. Marja

    Was für ein interessantes Thema! Über Raumkonzeptionen lässt sich so viel veranschaulichen.
    Ich kann mittlerweile fast nur noch analytisch lesen. Manchmal ist das etwas anstrengend, aber ich entdecke dafür so oft ganz viel, was im Text versteckt ist!

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