Aus Kunst wird Handwerk: Immer mehr Autoren werben offen damit, beliebte narrative Elemente in ihren neuen Roman eingebaut zu haben. Leser kennen die halbe Geschichte, noch bevor das Buch aufgeschlagen ist. Das können wir doch nicht wirklich wollen!
Stell dir vor, du nimmst im Laden ein Buch zur Hand und siehst auf dem Cover eine Art Inhaltsangabe. Nein, nicht in Form einer möglichst vagen und darum spannungserzeugenden Zusammenfassung, wie es beim Klappentext üblich ist, sondern als Liste von Klischees, die in der Geschichte vorkommen werden:
- „Reluctant hero”
- „Only one bed”
- „Enemies to lovers”
- „Love triangle”
- „Betrayal by an ally”
- „Mentor dies”
- „Fake death”
- „Surprise real villain”
- „Unexpected supernatural elements”
- „Hero sacrifices himself”
- „Unreliable narrator twist”
- „Prophecy fulfilled”
Moment mal, denkst du vielleicht – wollte ich das jetzt schon so genau wissen?
Was zunächst wie ein Witz wirken mag, ist tatsächlich eine Marketingstrategie, die gerade voll im Trend liegt: Autoren und Verlage benennen ungeniert die Schablonen, die beim Schreiben der von ihnen veröffentlichten Geschichten zum Einsatz kamen: sogenannte Tropes.
Die Spannung? Erheblich vermindert. Große Überraschungen? Gibt’s keine mehr.
Diese Praxis wirft interessante Fragen auf: Ist das, was da veröffentlicht wird, noch Kunst oder nur noch Content? Einzigartige Kreativleistung oder marktgerechte Ware? Literarisches Werk oder handwerkliches Produkt?
Woher kommt der Trend überhaupt, wer ist schuld daran, was kann man dagegen tun?
Das wollen wir uns in diesem Blogartikel mal genauer ansehen.
Dazu sollten wir erst einmal definieren …
Was sind Tropes?
Tropes sind das, woraus die Liste oben besteht: Muster oder Motive, die in Geschichten immer wieder auftauchen. Es kann sich, genauer gesagt, um Themen, Figurenkonstellationen, Szenen, Plotentwicklungen oder stilistische Mittel handeln, die dem Publikum mehr oder weniger vertraut sind.
Tropes können nicht nur in der Literatur vorkommen, sondern auch in Filmen oder Games; sie sind ein bisschen wie weit verbreitete Akkordfolgen in der Musik oder bestimmte Arten von dekorativen Elementen in der Architektur.
Das Positive
Tropes sind gut, weil …
- … sie angehenden Autoren helfen, insbesondere bei Problemen, den Plot auszutüfteln, oder bei Schreibblockaden.
- … sie Autoren beim schnellen Sales Pitch helfen. Man sagt oder schreibt einfach „Enemies to Lovers“, und die Leute wissen Bescheid: Erst gibt’s Streitereien, dann entwickelt sich doch eine mehr oder weniger harmonische Beziehung.
- … Leser sich direkt auf ein bestimmtes Lesegefühl einstellen können. Über Tropes vorab informiert zu sein, die man mag, schürt die Vorfreude. Bei Tropes, die man nicht mag, werden böse Überraschung vermieden.
- … komplexe Geschichten dadurch ein bisschen weniger komplex werden können. Wenn ab und zu etwas Bekanntes auftaucht, bietet das Orientierung.
- … man damit spielen und sie gezielt abwandeln kann, um eine interessante Wirkung zu erzielen.
Das Negative
Tropes sind schlecht, weil …
- … dadurch Einheitsbrei entsteht. Geschichten unterscheiden sich kaum noch, wenn zu viele Tropes im Trend liegen und von allen gleichzeitig verwendet werden.
- … durch die Fixierung auf Tropes möglicherweise andere Aspekte der Geschichte, die hätten spannend sein können, in den Hintergrund gedrängt werden.
- … Autoren möglicherweise faul und feige werden. Sie wissen, was funktioniert, und müssen oder wollen sich keine eigenen Gedanken mehr machen, nichts Neues mehr wagen.
- … bei Agenturen und Verlagen eine Mentalität entsteht, bei der nur noch abgehakt wird, ob genügend populäre Tropes vorkommen, statt die Qualität der Geschichte unvoreingenommen zu beurteilen.
- … sie das Medium Buch insgesamt unattraktiver machen, wenn potenzielle Leser das Gefühl bekommen, dass 80 % der angebotenen Bücher nichts Aufregendes mehr zu bieten haben.
Was ist Trope Marketing?
Als Trope Marketing würde ich alle Marketingmaßnahmen bezeichnen, bei denen Autoren oder Verlage explizit mit Tropes werben, die in dem zu vermarktenden Buch vorkommen und die entweder allgemein beliebt sind oder mit denen sich bei der jeweiligen Zielgruppe (vermeintlich) punkten lässt.
Hier seht ihr anhand meiner eigenen Romane, wie Trope Marketing auf Instagram ungefähr aussieht:
Wie man hoffentlich merkt, habe ich hier allerdings versucht, nicht allseits bekannte oder besonders gefragte Tropes – siehe Beispiele oben – aufzuzählen, sondern eher die Stimmung und den Stil der Romane einzufangen.
Auf diese Weise wollte ich Spoiler vermeiden, aber trotzdem Leser ansprechen, die dieses oder jenes Element schätzen, das meine Romane charakterisiert. (Mal abgesehen davon, dass ich konventionelles Trope Marketing eben auch etwas albern gefunden hätte.)
Woher kommt der Trend zum Trope Marketing?
Es gibt mehrere Aspekte, die dazu geführt haben könnten, dass Trope Marketing heute so beliebt ist. Schauen wir sie uns im Einzelnen an:
Überschwemmung des Buchmarktes
Es werden Tag für Tag so viele Bücher veröffentlicht, dass Leser längst den Überblick verloren haben. Da ist es kein Wunder, dass Verlage und Autoren versuchen, sich mit klar benannten Tropes von der Masse abzuheben.
Sie denken sich: Statt eine komplizierte Handlung zu umreißen, reicht doch sicherlich auch ein einfaches „Enemies to Lovers“, um potenzielle Leser zu ködern? Und nicht selten ist das eben auch der Fall.
Nun, positiv betrachtet, hilft es zumindest den Lesern, sich zwischen den unzähligen Alternativen zu entscheiden, die sich beim Bücherkauf heute bieten.
Verkaufsdruck und Sorge der Verlage
Verlage wollen Bücher verkaufen – und zwar nicht nur ein paar Exemplare, sondern ziemlich viele. Unter diesem Druck gehen sie lieber auf Nummer sicher, statt wagemutig Neues auszuprobieren. Wenn bekannte Tropes verlässlich funktionieren, ist das verlockend: besser eine Fast-Kopie eines Bestsellers, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein großes Publikum findet, als ein gewagtes Experiment, das künstlerisch anspruchsvoll ist, kommerziell jedoch komplett danebengehen könnte.
Diese Art von Risiko-Minimierung kommt natürlich nicht bei allen Lesern (oder Mitarbeitern) gut an, aber sie ist auch ein nachvollziehbarer Reflex in einer Branche, in der schon einzelne Misserfolge die Existenz kosten können.
Trotzdem sollte noch einmal betont werden, dass die Situation gerade für kreative Autoren mit innovativen Ideen äußerst frustrierend ist.
Social Media
Auf Plattformen wie Instagram oder TikTok muss alles sehr schnell gehen. Lange Beschreibungen haben dort oft keine Chance. Es muss sofort “klick machen”, damit potenzielle Leser am Ball bleiben. Ein einziges Schlagwort oder eine kurze Phrase können an frühere Leseerfahrungen erinnern, dadurch Emotionen wecken und Neugier schüren.
Außerdem lassen sich Tropes wunderbar in bunten Grafiken, Memes oder kurzen Videos präsentieren. Eine gelungene Kombination aus visuellem Eyecatcher und vertrauter Story-Zutat kann auf Social Media das Erfolgsrezept für eine gelungene Launch- oder Rabatt-Kampagne sein.
Aber ist das eine gute Entwicklung, die man mit eigenem Trope Marketing noch unterstützen sollte …?
Angst vor Fehlkäufen
Zeit und Geld scheinen derzeit bei fast allen immer knapper zu werden. Niemand hat Lust, 20 Euro und 10 Stunden in ein Buch zu investieren, das am Ende nur 3 Sterne bekommt.
Anhand von Tropes wissen Leser von vornherein ziemlich genau, worauf sie sich einlassen. Wenn man bestimmte Handlungsbausteine schätzt, darf man sich sicher sein, im neuen Roman beispielsweise die gewünschte Portion Drama oder Romantik zu finden. Damit verwandelt sich das Bücherkaufen vom Glücksspiel zum halbwegs berechenbaren Unterfangen – das Risiko von Fehlkäufen sinkt, Enttäuschungen werden vermieden.
Gleichzeitig natürlich auch aufregende Überraschungen …
Feel-good-Lektüre
Manche Leser suchen nicht nach der nächsten großen literarischen Offenbarung, sondern einfach nach etwas vertrauter Unterhaltung. Wenn man weiß, dass bestimmte Tropes im Buch vorkommen, fühlt man sich „zu Hause“. Eine bekannte Figurenkonstellation oder ein vertrautes Plot-Element gibt Struktur und Sicherheit, die manchen Lesern wichtiger ist als echte Spannung. Stichwort: Eskapismus.
Desinteresse an Neuem
Und schließlich gibt es auch Leute, die einfach kein großes Interesse daran haben, Neues zu entdecken. Vielleicht sogar Angst. Im OCEAN-Modell der Psychologie wären das Menschen mit geringer “Openness” und möglicherweise hohem “Neuroticism”. (Falls ihr das Modell nicht kennt, klickt mal auf den Link – es ist, wie ich finde, recht interessant!)
Es bleibt zu hoffen, dass der Personenkreis der konservativen Konsumenten überschaubar ist, denn gesamtgesellschaftlich und vor allem aus Sicht von Künstlern wäre es doch ein wenig schade, wenn eine solche Einstellung sich als sehr verbreitet herausstellen würde. Oder was meint ihr?
Was sollten wir stattdessen tun?
Um der zunehmenden “Verflachung” der Literaturlandschaft etwas entgegenzusetzen, braucht es nicht zwangsläufig radikale Veränderungen, sondern nur ein bisschen Mut zur Variation. Das starre Festhalten an vertrauten Mustern mag zwar Orientierung beziehungsweise Sicherheit bieten, hindert einen aber auch daran, den eigenen Horizont zu erweitern – als Autor und Leser.
Wer als Autor darauf verzichtet, Bücher mittels weit verbreiteter Tropes zu vermarkten, eröffnet wieder die Möglichkeit für Überraschungen.
Wer als Leser einfach mal mit voller Absicht das nächste “Enemies to Lovers”-Buch ignoriert und sich stattdessen irgendetwas anderes kauft, könnte ein komplett neues Feld für sich erschließen.
Natürlich kann es sich auch lohnen, bekannte narrative Elemente nicht einfach wegzulassen, sondern auf ungewöhnliche Weise zu verändern. Statt bestimmte Tropes standardgemäß abzuarbeiten, könnten sie so verfremdet werden, dass sie zwar wiedererkannt werden, aber durch ein einfallsreiches Arrangement völlig neu zur Geltung kommen.
Auch ein stärkerer Fokus auf Randfiguren, ungewöhnliche Schauplätze oder eigensinnige Erzählperspektiven schafft im Übrigen Spielraum, um wieder echte Spannung zu erzeugen.
Generell gilt, dass ein Spiel mit den Erwartungen der Zielgruppe Wunder wirken kann: Wieso nicht einmal bewusst Fragen offen lassen, auf die sich erst beim genaueren Hinsehen eine (mögliche) Antwort ergibt? Das Zwischen-den-Zeilen-Lesen kommt in moderner Literatur oft zu kurz, viele Leser haben es bereits verlernt. Warum nicht dramaturgische Wendungen einbauen, die nicht in die üblichen Kategorien passen, sondern das Publikum herausfordern? Auf diese Weise lassen sich nicht nur bestehende Lesegewohnheiten aufbrechen, sondern auch ein Gefühl von Lebendigkeit erzeugen, das in durchgeplanten und größtenteils vorhersehbaren Geschichten kaum zu finden ist.
Gerade in Zeiten, in denen allzu oft mit und nach bekannten Mustern gearbeitet wird, kann das Ungeplante, Unbequeme oder Unvollständige nicht nur helfen, die Erzählkunst zu revitalisieren, sondern auch das eigene Autorenprofil schärfen und Alleinstellungsmerkmale schaffen – die im Marketing schließlich ebenso effektiv sein können wie Tropes!
Fazit
Also, es ist klar: Tropes sind nicht grundsätzlich schlecht – sie bieten Orientierung und machen es leichter, Leser beziehungsweise Bücher zu finden. Doch wenn zu viel bereits vor der Lektüre verraten wird, gibt es eben auch keine Überraschungen.
Will man das? Das muss sich jeder Autor überlegen.
Wirklich packend wird eine Geschichte meines Erachtens erst, wenn man völlig im Unklaren ist, was noch passieren mag …
Statt die gängigsten Tropes als Verkaufsargumente aufzulisten, sollte man sie daher, wie ich finde, zumindest neu mischen, unerwartet brechen oder geschickt abwandeln – um Leser idealerweise völlig zu verblüffen.
Wer den Mut aufbringt, mit gewohnten – und, wie man zugeben muss, ja nicht grundlos bewährten – narrativen Bausteinen kreativ umzugehen, statt sie nur aus einer kommerziellen Motivation heraus abhaken zu wollen, kann Literatur wieder aufregend gestalten.
Das freut nicht nur die Leser, sondern macht auch mehr Spaß beim Schreiben!
***
Was meinst du: Ist dir die Vorhersehbarkeit von Literatur durch die Auflistung der verwendeten Tropes egal, weil du wirklich unbedingt ganz bestimmte narrative Elemente in den Romanen vorfinden willst, die du liest? Oder hat dir Trope Marketing schon die eine oder andere Überraschung versaut? Schreib’s mir in die Kommentare!