Ich schreibe jetzt Science Fiction! Das mag einige verwundern. Deshalb will ich in diesem Blogartikel versuchen, den Wechsel als eigentlich konsequenten Schritt darzustellen. Vielleicht auch mir selbst gegenüber.
Zeichen von Herbst, Gegenlicht, Der Künstler und die Assassinin – meine bisherigen Romane könnte man als Gegenwartsliteratur beschreiben, die einerseits von Provokateuren wie Beigbeder, Faldbakken, Houellebecq und Despentes inspiriert ist, andererseits von der sprachlichen Ästhetik klassischer Literatur.
Roman IV (Arbeitstitel) geht nun in eine andere Richtung: Es handelt sich, würde ich sagen, um ein Science-Fiction-Abenteuer.

Wie kam es dazu?
Das will ich euch hier gern erklären. Aber fangen wir von vorne an:
Warum überhaupt Gegenwartsliteratur?
Es gibt mehrere Gründe, warum ich mit gegenwartsliterarischen Romane begonnen habe (und aller Voraussicht nach auch bald wieder weitermachen werde). Diese fallen mir spontan ein:
Grund 1: Relevanz
Gegenwartsliteratur erlaubt es einem Schriftsteller, Themen und Probleme der aktuellen Zeit aufzugreifen und zu reflektieren, die wichtig und diskutierenswert erscheinen.
Grund 2: Fokus auf die Figuren
Gegenwartsliteratur lebt in erster Linie von Charakteren, die sich in mehr oder weniger alltäglichen Kontexten weiterentwickeln. Das finde ich interessanter, als mich hauptsächlich auf den Plot zu konzentrieren und meine Figuren mehr oder weniger als Katalysatoren für denselben zu benutzen.
(Aufmerksame Fans werden nun anmerken wollen, dass ich diesen Aspekt hier ein wenig relativiere, indem ich klarstelle, dass es mir eigentlich auch nicht unbedingt um die Figuren geht.)
Grund 3: Authentizität
Romane, die in der heutigen Zeit spielen, bieten die Möglichkeit, menschliche Erfahrungen und Emotionen besonders realistisch und nachvollziehbar darzustellen, da die Lebensumstände der Figuren denen der Leser meist in hohem Maße entsprechen.
Grund 4: Plausibilität
In mancher Hinsicht hat man weniger kreative Freiheit, wenn es weder Magie noch futuristische Technologie gibt, andererseits erleichtert es gerade diese Beschränktheit, plausible Herausforderungen für die Figuren in den Plot zu integrieren.
(Natürlich ist das nur ein Argument gegen Fantasy und Science Fiction, nicht gegen andere Genres.)
Grund 5: Literarische Tradition
Man knüpft als GWL-Autor an eine reiche Tradition an, die von vielen bedeutenden Autoren geprägt wurde.
(Auch dies gilt ebenso für andere Genres, doch nicht für alle.)
Grund 6: Persönlicher Geschmack
Beigbeder, Faldbakken und Houellebecq zählen zu meinen absoluten Lieblingsautoren, weshalb es einfach nahe lag, im gleichen Genre zu schreiben.
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Ihr seht, es spricht einiges für Gegenwartsliteratur – sowohl ganz allgemein als auch für mich persönlich. Nach dieser Begründung meines bisherigen Schaffens stellt sich also erst recht die Frage:
Warum denn nun Science Fiction?
Auch hier gibt es mehrere Gründe. Ebenfalls sechs, um genau zu sein, auch wenn der letzte vielleicht nicht voll zählt.
Grund 1: Mal was Neues!
Kreative Menschen neigen dazu, verschiedenste Dinge interessant zu finden und immer offen für neue, auch unkonventionelle Ideen zu sein. Dementsprechend fällt es vielen schwer, sich auf ein einziges Projekt zu konzentrieren – und es zu Ende zu bringen.
Zum Glück habe ich das hinter mir. Irgendwie ist es mir gelungen, die Wichtigkeit des Abschließens von Projekten und des Nicht-Anfangens von Nebenprojekten zu verinnerlichen.
Dennoch hatte ich immer schon das Gefühl, dass ich eines Tages auf die Idee kommen könnte, mich an einem anderen Genre zu versuchen. Bei meinen Kurzgeschichten habe ich mir ja bereits erlaubt, neue Wege einzuschlagen:
- Puls (2020) – Post-apokalyptischer Horror
- Das Häuschen im Moor (2021) – Schauermärchen
- Die dämmernde Gottheit (2023) – Gothic Horror
Nun ist es also an der Zeit, dass ich mich für einen ganzen Roman in unbekannte Gefilde wage.
Grund 2: Faszination für Technologien und Utopien
Technologisch betrachtet, machen wir derzeit rasante Fortschritte. Insbesondere im Bereich KI und Robotik. Vieles spricht dafür, dass wir bereits innerhalb des nächsten Jahrzehnts …
- Heilverfahren für einen Großteil der Krankheiten entwickeln, an denen Menschen heute leiden oder sterben;
- menschliche Organe künstlich herstellen;
- unangenehme, riskante und zeitaufwändige medizinische Eingriffe wesentlich verbessern;
- Möglichkeiten finden, den Alterungsprozess zu verlangsamen, aufzuhalten oder sogar umzukehren (das heißt: ewig zu leben);
- unsere Arbeitswoche (endlich, nach 100 Jahren!) verkürzen und in absehbarer Zeit ganz aufhören können mit der Lohnarbeit, indem wir nämlich einen Bereich nach dem anderen automatisieren und unermüdlichen, unfehlbaren Maschinen überlassen;
- unsere hinzugewonnene Freizeit durch fantastische neue Erfahrungen bereichern, insbesondere in virtuellen Realitäten;
- den Alltag sehr viel einfacher gestalten mit Hilfe von KI-Apps, KI-Gadgets, selbstfahrenden Autos, Androiden und Robotern;
- Fleisch durch gleichwertige Alternativen ersetzen;
- die dysfunktionale und korrupte Politik, die Schere zwischen Arm und Reich und den Klimawandel durch KI-gestützte Faktenchecks, Analysen und Handlungsempfehlungen in den Griff bekommen;
- den Mars besiedeln.
Es gibt viele, viele Gründe, sich heute für Technologie zu interessieren, sich für bestimmte, immer wahrscheinlicher werdende Utopien zu begeistern – und als Autor den eigenen technologischen und utopischen Fantasien auch literarisch freien Lauf zu lassen.
Grund 3: Gesellschaftskritik in anderer Form
Ein wichtiger Aspekt von Gegenwartsliteratur ist meines Erachtens die Gesellschaftskritik. Ein Roman dieses Genres sollte nicht nur in der heutigen Zeit spielen, sondern auch der heutigen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten – mindestens.
Autoren wie Beigbeder, Faldbakken, Houellebecq und Despentes sind hierfür hervorragende Beispiele. Ihre Geschichten sind voller Überspitzungen und Extrapolationen aktueller Verhältnisse und Trends und regen damit zur Diskussion über dieselben an. Es ist für mich schwer nachvollziehbar, wie man sich nicht für diese Art von Literatur interessieren kann, hat sie doch die maximale Relevanz für das eigene Leben.
Allerdings ist Gegenwartsliteratur nicht das einzige Genre, das diese Möglichkeit bietet. Grundsätzlich ist es möglich, in jedem Genre hier und da ein wenig Gesellschaftskritik in der Geschichte unterzubringen.

Science Fiction eignet sich meines Erachtens jedoch besonders gut: Die besagten Überspitzungen und Extrapolationen aktueller Verhältnisse und Trends sind schließlich genau das, was eine Science-Ficton-Welt ausmacht und was sie plausibel erscheinen lässt.
Zugleich lassen sich durch den mitunter großen zeitlichen Unterschied zwischen unserer Zeit und der dargestellten Zeit auch solche Aspekte des menschlichen Wesens und Miteinanders thematisieren, die konstant sind – die also im Jahr 3000 aller Voraussicht nach ebenso problematisch sein werden wie im Jahr 2000.
In gewisser Hinsicht ließe sich also behaupten, dass Science Fiction die bessere Gegenwartsliteratur sei. Nun, wer weiß. Zumindest ist sie für mich eine hochinteressante Alternative, wenn es um Gesellschaftskritik geht.
Grund 4: Kreative Freiheit
Wie sagte Arthur C. Clarke so schön?
‘Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.’
Anders ausgedrückt: Science Fiction ist ein bisschen Fantasy.
Dementsprechend bieten sich einem Autor hier einige Freiheiten, was die Gestaltung von Figuren, Handlungsorten, Requisiten, Sprachen und vielen anderen Dingen betrifft. Die Zukunft ist ungewiss, und wir können nicht ausschließen, dass wir im Jahr 3000 von Aliens besucht werden, uns zu fernen Planeten teleportieren, Gefechte in Raumschiffen austragen oder uns mittels Telepathie verständigen.
Es ist also spekulativ, aber nicht völlig abwegig, derlei Dinge in einen Science-Fiction-Roman einzubauen und dennoch darauf zu beharren, dass es sich um unser Universum und unsere Zukunft handelt. Als Sci-Fi-Autoren dürfen wir (Quasi-)Magie verwenden – ob als Plot Device, fürs World Building, symbolisch oder einfach aus ästhetischen Gründen –, ohne den Anspruch auf Realismus gänzlich zu verlieren.
Grund 5: Persönliche Präferenzen
Ein vielleicht nicht ganz unwichtiger Grund: Ich mag Science Fiction eben. In letzter Zeit habe ich ziemlich viele Sci-Fi-Romane gelesen, und wenn ich eine Buchhandlung betrete, führt mein Weg immer zum entsprechenden Regal, wo ich dann besonders lange verweile.
(Bei der Gelegenheit möchte ich das einmal sagen: Bitte hört auf, Science Fiction und Fantasy ins gleiche Regal zu packen!)
Die folgenden Bücher, die mehr oder weniger zum Genre gehören, habe ich seit 2018 gelesen (in chronologischer Reihenfolge):
- Douglas Adams – Per Anhalter durch die Galaxis
- Douglas Adams – Das Restaurant am Ende des Universums
- Douglas Adams – Das Leben, das Universum und der ganze Rest
- Sibylle Berg – GRM
- Ray Bradbury – Fahrenheit 451
- Douglas Adams – Macht’s gut, und danke für den Fisch
- John Saul – Schule des Schreckens
- Douglas Adams – Einmal Rupert und zurück
- Ian McEwan – Machines like me
- Marc-Uwe Kling – QualityLand
- William Gibson – Neuromancer
- Dirk Rossmann – Der neunte Arm des Oktopus
- Ariel S. Winter – Mr. Sapien träumt vom Menschsein
- Frank Herbert – Der Wüstenplanet
- Sibylle Berg – RCE
- Richard K. Morgan – Altered Carbon
- Douglas Adams – Ende gut
- Kim Ho-yeon – Fauster
- H.G. Wells – Die Zeitmaschine
- Marc-Uwe Kling – QualityLand 2.0
- Leif Randt – Planet Magnon
- Dan Simmons – Die Hyperion-Gesänge
- Stanisław Lem – Rückkehr von den Sternen
- Ursula K. Le Guin – Freie Geister
- Arthur C. Clarke – Die letzte Generation
- Pierce Brown – Red Rising
- Aldous Huxley – Schöne neue Welt
- Roger Zelazny – Herr des Lichts
- Thore D. Hansen – Die Reinsten
- Liu Cixin – Die drei Sonnen
- Ursula Poznanski – Die Burg
- Elias Hirschl – Content
- Kurt Vonnegut – Galapagos
- Dirk Rossmann – Der Zorn des Oktopus
- Kazuo Ishiguro – Klara und die Sonne
- Kurt Vonnegut – Die Sirenen des Titan
Zugegeben, ein paar Einträge sind hinsichtlich der Einordnung diskussionswürdig. Aber dennoch – keine schlechte Liste, oder? Wie hätte ich mich da nicht inspirieren lassen können?
Grund 6: Ein wahrscheinlich wachsender Markt
Der kommerzielle Aspekt sollte bei Kunst keine Rolle spielen, und das war bei mir auch nie der Fall. Insofern ist dieser Grund ziemlich unwichtig und zählt sozusagen nur als halber Grund oder als Bonus.
Dass ich davon ausgehe, dass zu Beginn der neuen Ära von künstlicher Intelligenz und Robotik das Genre Science Fiction eine Renaissance erleben wird, war also nicht ausschlaggebend für den Kurswechsel, die Aussicht auf ein gewisses Maß an kultureller Relevanz aber doch in gewissem Maße motivierend während des Schreibprozesses.

Ich hoffe jedenfalls, dass sich mein nächster Roman zumindest gut in die Stapel ungelesener Bücher einfügt, die sich Bücherwürmer und Leseratten zum Thema Science Fiction in den nächsten Jahren anlegen werden.
Fazit
Das waren sie, meine fünfeinhalb Gründe, der Gegenwartsliteratur den Rücken zu kehren und mich der Science Fiction zuzuwenden. Jedenfalls für den Moment. Ein vages Konzept hätte ich noch im Kopf, aus dem ein weiterer Sci-Fi-Roman entstehen könnte, eigentlich habe ich aber sehr viel mehr Ideen, die eher in gegenwartsliterarische Romane passen. Ich bin also genauso gespannt wie ihr, wohin es mit Roman V gehen wird.
Jetzt hoffe ich erst einmal, dass meine Ausführungen in diesem Artikel ein wenig dazu beitragen konnten, etwaige Skepsis im Hinblick auf meinen Genrewechsel zu zerstreuen und Interesse zu wecken für meinen ersten Science-Fiction-Roman – der aller Voraussicht nach 2025 erscheinen wird.
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Wie seht ihr das denn grundsätzlich: Sollten Autoren ihrem Genre treu bleiben? Oder sind Genrewechsel überhaupt kein Problem, vielleicht sogar interessant? Schreibt mir doch mal eure Meinung in einen Kommentar!