Der Begriff der Kunst war immer schon schwer zu definieren. Kreative Computer machen das nicht unbedingt einfacher. Überlegen wir dennoch, jetzt, zu Beginn der KI-Ära, was Kunst heute ist und was Kunst morgen sein könnte.
Ewig versprochen beziehungsweise angedroht, scheint die KI-Revolution nun tatsächlich zu beginnen: Immer mehr Tools werden veröffentlicht, die dazu geeignet sind, bei der Erstellung von künstlerischen Werken ungeahnt nützlich zu sein oder sogar völlig autonom Kunst zu schaffen.
Also, das ist doch dann Kunst, oder? Auch wenn der Mensch nur minimal – vielleicht auch gar nicht – involviert war?
Die Ära der künstlichen Intelligenz hat begonnen
Im Dezember 2022 hat ChatGPT die Welt im Sturm erobert. Das Large Language Model (LLM) von OpenAI eröffnet viele neue Möglichkeiten für Künstler und Kreative: Auf Basis sogenannter Prompts – natürlichsprachlicher Anweisungen oder Fragen – generiert das Tool Texte, die von menschengeschriebenen kaum zu unterscheiden sind. Innerhalb weniger Sekunden löst es die komplexesten Aufgaben, schreibt Romanszenen, Dialoge, Gedichte, Songlyrics, Programmcode, Marketing-Content – was immer du willst.
Jeden Tag erscheinen neue KI-Tools, die in den unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz kommen. Von Bildgenerierung und -bearbeitung über Musikkomposition bis hin zur Recherche wissenschaftlicher Fakten – KI verändert unsere schöpferische Leistung.
KI macht uns produktiver, und KI wird sehr schnell immer besser. Über kurz oder lang wird es die Arbeitswelt komplett verändern und so gut wie jeden Job überflüssig machen – auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen.
Aber auch für die Kunst werden die aktuellen Entwicklungen noch grundlegende Veränderungen bedeuten. Nun müssen wir uns fragen: Was ist Kunst heute, und was wird Kunst sein, wenn Algorithmen immer kreativer werden?
Kunst mit einem Klick
Die Synergie von künstlerischer Kreativität und KI-Tools bringt bereits jetzt eine beeindruckende Vielfalt an Werken hervor. Ob Text, Bild, Video, Musik oder Games: Überall zeigt KI ihr unglaubliches Potenzial. Die jeweiligen Modelle – zum Beispiel GPT für Text oder Stable Diffusion für Bilder – bringen Ergebnisse zustande, deren Qualität sogar KI-Enthusiasten überrascht. Selbst die Entwickler der Modelle begreifen zuweilen nicht vollends, wie ihr Produkt funktioniert.
Es stimmt also, was Arthur C. Clarke sagte: „Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“
Wie jede Revolution entfacht jedoch auch die rasante Verbreitung von KI zahlreiche Debatten: Worin bestehen die ästhetischen und ethischen Auswirkungen des KI-Einsatzes im kreativen Schaffensprozess? Inwieweit beeinflussen KI-Tools die Authentizität von Kunstwerken? Können, sollten oder dürfen menschliche Schaffensprozesse durch KI-Generierung überhaupt augmentiert, geschweige denn komplett ersetzt werden?
Aber falls nein: Ließe sich die Entwicklung hin zu immer mehr KI und immer weniger Mensch überhaupt aufhalten, selbst wenn unter Künstlern und Kunstliebhabern Einigkeit bestünde, dass wir diesen Weg nicht gehen sollten?
Braucht es noch Künstler?
Um die Rolle von Künstlern im Zeitalter der KI zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit der grundlegenden Frage auseinandersetzen: Was ist Kunst überhaupt? Für diese Definition gibt es meines Erachtens zwei Ansätze:
Kunst als Ausdruck von Können
Nach der ersten Auffassung liegt der Schwerpunkt der Kunst auf der Fertigkeit und dem „handwerklichen“ Geschick, das bei der Kreation eines Kunstwerks zum Tragen kommt.
Hier stehen wir allerdings vor der Herausforderung, Kunst von tatsächlichem Handwerk (oder, noch deutlicher, Kunsthandwerk) abzugrenzen, da schließlich beides auf dem Erlernen und dem Einsatz von Fertigkeiten basiert. Es lässt sich argumentieren, dass Kunst sich durch ihre emotionalen und intellektuellen Dimensionen sowie durch ihre ästhetische Wirkung von Handwerk unterscheidet, aber auch diese Dinge sind nicht klar definierbar.
Kunst als Ausdruck von Intention
Der zweite Definitionsansatz legt den Fokus auf die Absicht des Künstlers, etwas auszudrücken oder eine Botschaft zu vermitteln. Hierbei spielt die Qualität des Endprodukts eine untergeordnete Rolle, solange der kreative Prozess von einer bestimmten Idee oder einem Gedanken geleitet – beseelt – wird. Dieser Ansatz erkennt Kunst in all ihren Formen und Ausdrucksweisen an, egal, wie „gut“ sie ist oder wie vielen Menschen sie gefällt (oder missfällt); was zählt ist „der Gedanke dahinter“.
Die Intention darf selbstverständlich nicht kommerzieller Natur sein, sondern muss von einem höheren inneren Antrieb, einer Vision oder einer emotionalen Verbindung zum Thema ausgehen. Das Schaffen von Kunst wird als eine persönliche, zuweilen intime, Form der Kommunikation und des Selbstausdrucks verstanden.
Das heißt also?
Meines Erachtens lässt sich „wahre“ Kunst von nun an nur noch anhand der Intention, nicht mehr anhand des Könnens definieren: KI-Tools können immer mehr – irgendwann können sie alles –, doch eine echte Absicht hinter der Kreation eines Kunstwerks kann nur ein Mensch hegen. Die Echtheit der Absicht meint hier im Prinzip die (wahrgenommene) Unergründlichkeit des menschlichen Geistes, die im Kontrast zu den zwar immer komplexer werdenden, doch noch immer computertechnischen, also theoretisch im Detail nachvollziehbaren, sozusagen „unmagischen“, Algorithmen einer KI steht.
Meine Prognose: M-Kunst vs. KI-Kunst
In Zukunft werden wir nach meiner Überzeugung zwei verschiedene Strömungen in der Kunstwelt beobachten: M-Kunst (menschengemachte Kunst) und A-Kunst (automatisierte Kunst) oder C-Kunst (computergenerierte Kunst). Diese Unterscheidung ähnelt dem Unterschied zwischen E- und U-Musik oder handgespielter und elektronischer Musik, den wir schon heute machen.
Die Begriffe der E- und U-Musik beschreiben verschiedene Stile und Intentionen in der Musikwelt: E-Musik (ernste Musik) ist in der Regel anspruchsvoll, komplex und gelegentlich experimentell, während U-Musik (Unterhaltungsmusik) leicht zugänglich ist und möglichst vielen Menschen gefallen soll.
Analog dazu könnten wir M-Kunst als von Menschen geschaffene Kunst betrachten, die wir als „echt“ oder „beseelt“ bezeichnen und die vermutlich zu Tiefgründigkeit und Experimentierfreude neigt, während A-/C-Kunst vom Algorithmus geschaffen wird und möglicherweise eher technische „Perfektion“ – im handwerklichen Sinne – anstrebt, als dass sie mit originellen Ideen aufwartet.
Handgespielte und elektronische Musik unterscheiden sich hingegen in der Art und Weise, wie die Klänge erzeugt werden. Handgespielte Musik wird von Musikern auf traditionellen Instrumenten gespielt, während elektronische Musik mithilfe von Computern und elektronischen Geräten wie Synthesizern erzeugt wird. In ähnlicher Weise könnten auch M-Kunst und A-/C-Kunst in Bezug auf die Entstehung unterschieden werden. In der M-Kunst werden die Biografie des Künstlers und der Schaffensprozess des Werkes vermutlich von noch größerem Interesse sein als heute, wohingegen KI-Kunst vor allem den Vorteil hat, trotz des Massenware-Charakters eine hohe Produktionsqualität aufzuweisen – wo immer diese Kombination von Bedeutung sein mag.
Fazit
Künstliche Intelligenz bietet Künstlern bereits jetzt eine Vielzahl an nützlichen Tools, um die Arbeit deutlich zu vereinfachen. Jedoch führt die Entwicklung hin zu immer mehr maschinengestützter oder sogar vollständig maschineller Kreativität auch dazu, dass wir uns intensiv mit der Rolle des Künstlers auseinandersetzen müssen.
Um die Zukunft der Kunst zu gestalten, ist es entscheidend, dass Künstler und Kunstliebhaber aktiv an dieser Diskussion teilnehmen und mitbestimmen, wie menschengemachte Kunst in Zukunft wahrgenommen und wertgeschätzt wird.
Dabei darf es zwar meines Erachtens nicht darum gehen, KI zu verteufeln – denn auch A-/C-Kunst hat aus meiner Sicht ihre Daseinsberechtigung –, doch der Unterschied zwischen Kunst, die vom Menschen, und Kunst, die von der Maschine stammt, sollte in einer idealen Welt a) immer gekennzeichnet und b) in Diskussionen über die Werke immer thematisiert werden. Möglicherweise brauchen wir einen neuen Begriff, den wir anstelle von „Kunst” für Werke, die automatisch erzeugt wurden, verwenden können.
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Was meint ihr – als Kreativer oder als Rezipient –, wie entwickelt sich das alles noch mit den Maschinen und der Kunst? Werden wir menschengemachte Kunst mehr wertschätzen, die Authentizität (lies: Imperfektion) glorifizieren, oder wird’s uns egal sein, ob das Werk nun unter Schweiß und Tränen entstanden ist, wie man so sagt, oder in ein paar Sekunden zusammengerechnet wurde?