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10 schwachsinnige Schreibtipps: Diese Ratschläge kannst du getrost ignorieren

Beitragsbild 10 Schwachsinnige Schreibtipps

Glaub nicht alles, was du im Internet liest: Diese Schreibtipps werden auch nicht wahrer, wenn man sie noch öfter wiederholt.

Schreibblogs und Instagram sind voller guter Ratschläge und Tipps für Autoren. Doch leider gibt es auch viele schlechte Tipps, die trotzdem immer wieder zu lesen sind.

In diesem Blogartikel werfen wir gemeinsam einen kritischen, aber möglicherweise etwas augenzwinkernden Blick auf 10 Schreibtipps, die unsinnig sind. Und natürlich sage ich dir auch, warum.

Los geht’s. Schwachsinniger Schreibtipp Nummer 1:

1. Schreib bloß keinen Prolog!

Prologe nerven Leser. Oft haben Prologe mit der eigentlichen Geschichte wenig zu tun, vor allem nicht mit dem darauf folgenden ersten Kapitel. Deshalb sind Prologe eher verwirrend als interessant. Manchmal sind sie ein billiger Versuch, einem zu langsamen Handlungsbeginn etwas Spannenderes voranzustellen. Der Leser muss schließlich sofort gefesselt werden! Die ersten Sätze zählen!

Wir hassen Prologe! Oder doch nicht?

Zugegeben: Auch ich denke, dass man beim Prolog ein paar Dinge falsch machen kann. Das kann man allerdings in jeder Phase eines Romans. Ich sehe keinen Grund, sich kategorisch gegen das strukturelle Stilmittel des Prologs auszusprechen, wie es in den Ratgebern nicht selten impliziert wird. 

Versucht es einfach und bittet eure Betaleser um Feedback! Es ist definitiv möglich, Leser mit einem Prolog zu begeistern, und auch als Kontrast zu einer gemächlichen Exposition kann ein Prolog wirkungsvoll sein.

2. Starte immer mitten in der Geschichte!

Dieser viel gelesene Schreibtipp schlägt teilweise in die gleiche Kerbe (ich weiß, das Bild hinkt, sie auch dieser Satz): Der Roman soll bitte an einer Stelle starten, die bereits sehr spannend ist. Völlig egal, ob Figuren oder Welt etabliert sind, der Leser will, dass es sofort zur Sache geht.

Glauben Autoren von Schreibblogs.

Ich halte das für Unsinn. Vor allem hasse ich es, wenn ich mich direkt auf der ersten Seite in einer Actionszene wiederfinde. Da soll ich mitfiebern, wenn eine Figur ums Überleben kämpft, die ich nicht kenne, bei der ich gar nicht sicher sein kann, ob ich überhaupt möchte, dass das Ganze völlig glimpflich für sie ausgeht. 

Fast genauso schlimm: Deep Talk zwischen Figuren, die in einem mir unbekannten Verhältnis zueinander stehen und auf Personen oder Sachverhalte Bezug nehmen, die mir nichts sagen.

Was sollte so schlimm daran sein, dem Leser die Chance zu geben, erst einmal in die Welt einzutauchen? Wer nicht die Geduld hat, sich zumindest ein Kapitel lang mit den notwendigen Grundlagen der Geschichte vertraut zu machen, liest das Buch doch sowieso nicht zu Ende.

3. Jedes Kapitel muss super spannend sein!

Auch auf Kapitelebene gilt das meines Erachtens: Ich bin der Auffassung, dass die Wirkung von ruhigen und actionreichen Phasen durch den Kontrast zwischen ihnen verstärkt wird. Nicht jedes Kapitel muss eine emotionale Explosion sein oder zehn neue Fragen aufwerfen.

In der Musik ist es ähnlich: Ein intensiver Part wirkt besser, wenn er sich langsam aufgebaut hat, ein ruhiger Part, wenn er als Atempause wahrgenommen wird. Ein dissonanter Akkord schafft Spannung, vor allem, wenn er völlig unerwartet erklingt, will aber aufgelöst werden.

Deshalb sage ich: Schreibt auch mal ein Kapitel, in dem nur unterschwellige Entwicklungen stattfinden. Wiegt den Leser in Sicherheit. Gebt ihm etwas zum Nachdenken oder zum Schmunzeln. 

Man kann auch mal einfach ein langsames Kapitel lesen, in dem nichts Schlimmes passiert.

Konstruiert den Roman einfach abwechslungsreich.

4. Achte bei deinen Figuren auf »Diversity«!

Kennt ihr Final Fantasy XV? Als JRPG-Fan im Allgemeinen und FF-Fan im Besonderen ist es eigentlich seltsam, dass ich diesen bis dato neuesten Ableger der Serie noch nicht gespielt habe. 

Warum? Weil ich den Cast uninteressant finde.

Mag sein, dass die Story mich packt, sobald ich erst einmal angefangen habe – es ist sogar recht wahrscheinlich –, aber bisher konnte ich mich nicht dazu aufraffen. Vier männliche Charaktere. Ich verstehe nicht, wie das überhaupt passieren konnte.

Dementsprechend begrüße ich es natürlich, wenn eure Protagonistengruppe etwas Abwechslung bietet. Trotzdem muss man nicht übers Ziel hinausschießen und sich einen Cast zum Ziel setzen, der nach heutigen Kriterien als »divers« gelten darf, also in einem, statistisch betrachtet, völlig unrealistischen Maße vielfältig ist. 

Bunt ist gut, aber man kann’s auch zu bunt treiben.

Zeichen von Herbst bietet Protagonisten beider Geschlechter und unterschiedlicher Alters- und ethnischer Gruppen, aber nicht aus irgendwelchen Political-Correctness-Erwägungen heraus, sondern einfach, weil ich die Figuren so, wie sie dann am Ende waren, am passendsten und interessanten fand. 

Gegenlicht besteht zwar den Bechdel-Test (den ich, um das mal gesagt zu haben, gar nicht so verkehrt finde), hat aber nur weiße Protagonisten. In meinen Augen ist das kein bisschen »problematisch«, sondern sogar, wenn man die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung in Betracht zieht, sehr wahrscheinlich. Ich habe mir darüber, um ehrlich zu sein, nicht einmal Gedanken gemacht.

Seid wie ich. Was das betrifft.

5. Du brauchst starke weibliche Figuren!

In diesem Punkt gilt Ähnliches: Starke weibliche Figuren können cool sein, sind aber kein Muss. Es geht auch ohne.

Dabei ist es egal, was mit »stark« gemeint ist. 

Ob man dir nun weismachen will, dass ein 16-jähriges Mädchen in der Lage wäre, sich unbewaffnet gegen einen Haufen Schlägertypen durchzusetzen – oder auch nur gegen einen einzigen durchschnittlichen Jungen ihres Alters – oder dass jeder halbwegs maskuline Held durch ein weibliches Äquivalent ersetzt werden könnte, ohne dass man, abgesehen vom Äußeren, jegliche Anpassungen vornehmen müsste, besinne dich auf deinen eigenen gesunden Menschenverstand und die Erfahrungen, die du in deinem Leben gemacht hast. 

Schreib glaubwürdige Charaktere mit glaubwürdigen – das heißt meist auch: geschlechtstypischen – Aktionen und Reaktionen. Oder stelle untypische Handlungen als solche heraus und reflektiere sie. Manche Diskussionen von Romi und Nova in Gegenlicht sind, denke ich, ganz gute Beispiele dafür.

6. Der Protagonist muss sich nach diesem Schema entwickeln!

Auf Schreibblogs findest du tolle Tipps, wie genau sich dein Protagonist zu entwickeln hat. Irgendetwas mit »Need«, irgendetwas mit »Weakness«, irgendetwas mit 4 oder 12 Phasen. Auch eine praktische Excel-Tabelle gibt es manchmal dazu!

»Ja, Mann! Figurenentwicklung!« – haben wahrscheinlich die wenigsten Leser schon mal gesagt.

Ich halte das alles für Quatsch.

Klar, es kann ganz nett sein, wenn man als Leser merkt, dass der Protagonist ein eingangs dargestelltes charakterliches Defizit überwindet und mit dem Plot und/oder anderen Figuren als Katalysator zu einem »besseren« Menschen wird. Weil er kräftiger, weiser oder mutiger wird. Oder die Macht der Freundschaft erkennt.

Nach der hundertsten Geschichte dieser Art wird es allerdings – urtümliche narrative Strukturen hin oder her – langweilig. Ignoriert die Schemata der Protagonistenentwicklung und denkt euch selbst etwas aus! Überrascht mich als Leser. Oder lasst es einfach. Bei einigen der besten Bücher vermag ich nicht zu sagen, inwiefern sich der Protagonist nun zwischen der ersten und letzten Seite entwickelt hätte.

Was für den Protagonisten gilt, gilt für Nebenfiguren übrigens erst recht. Macht euch doch nichts vor: Nebenfiguren-Entwicklung ist in den meisten Fällen reines Füllmaterial, das niemanden ernsthaft interessiert. 

Denkt an Antoine de Saint-Exupéry: »Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.« 

7. Vermeide Figurenbeschreibungen vor dem Spiegel!

Es kommt häufig vor, dass Autoren die körperlichen Merkmale einer Figur beschreiben, während diese vor einem Spiegel steht. Und weil es so häufig vorkommt, raten manche Schreibblogs davon ab

Zu Unrecht, wie ich finde.

Es ist nun einmal eine effektive Methode, dem Leser Informationen über das Aussehen der Figur zu liefern, ohne den Fluss der Geschichte durch reinen Metatext zu unterbrechen. 

Davon abgesehen, kann die Figur so über ihr eigenes Aussehen nachdenken und möglicherweise etwas über ihre Persönlichkeit oder ihren Geisteszustand verraten. Die Selbstreflexion kann dem Leser einen wertvollen Einblick in die Beweggründe und Gefühle der Figur geben, die eine Beschreibung »von außen« nicht liefert.

8. Vermeide Klischees!

Klischees und Tropen werden oft als Schwächen einer Geschichte angesehen, weil sie manchmal überstrapaziert werden und eine Geschichte unoriginell oder vorhersehbar erscheinen lassen. 

Sie können aber auch nützliche Werkzeuge für Schriftsteller sein. Klischees und Tropen können als Kurzform für die Vermittlung bestimmter Ideen oder Konzepte dienen, die dazu beitragen, einen Schauplatz oder eine Figur schnell zu etablieren und die Geschichte voranzutreiben.

Darüber hinaus können sie dem Leser einen vertrauten Rahmen bieten, der die Geschichte zugänglicher und leichter verständlich macht.

Statt von »Klischees« und »Tropen« zu sprechen, wäre es manchmal treffender, den Begriff des »Archetypen« zu verwenden.

Natürlich können Klischees und Tropen überaus wirksam sein, wenn sie eben nicht auf die altbekannte Weise verwendet, sondern Erwartungen geschürt und dann durchbrochen werden. Aber es spricht aus meiner Sicht auch nichts dagegen, sie wie gehabt zu verwenden. Originell könnt ihr noch an vielen anderen Stellen eurer Geschichte sein.

9. Pass auf, dass du niemanden beleidigst!

Äußerungen, die einzelne Leser als beleidigend wahrnehmen, kannst du nie gänzlich verhindern.

Äußerungen, die einzelne Leser als beleidigend wahrnehmen, können außerdem notwendig sein, um die Figuren und ihre Beziehungen zueinander effektiv darzustellen. Wenn zwei Figuren sich nicht mögen oder im Streit miteinander sind, sollte es im Bereich des literarisch Möglichen liegen, dass sie sich gegenseitig auf schlimmste Weise beleidigen. Dies kann dazu beitragen, dass die Handlung glaubwürdig wirkt und Leser die Gefühle der Charaktere besser verstehen.

Gerade in der Gegenwartsliteratur können provokante Aussagen dazu beitragen, dass wichtige Themen ein höheres Maß an Aufmerksamkeit erhalten. Indem sie Tabus brechen und Sachverhalte oder Meinungen realistisch darstellen, können Romane zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Themen beitragen. 

Pointierte, vielleicht auch überspitzte Darstellungen können – meines Erachtens effektiver als ein belehrender Ton – dazu führen, dass sich die Meinungen und Einstellungen der Leser verändern, und sollten insofern eigentlich ganz im Sinne derer sein, die sich in gewissen Kontexten ob gewagterer Ausdrucksweisen in ereifern.

10. Dein Roman braucht eine Message!

Nein, nicht jeder Roman braucht eine Message. Es kommt darauf an, was der Autor erreichen möchte. 

Wie deep wird das denn noch?

Manche Romane haben eine klare Botschaft oder vermitteln einen bestimmten moralischen Standpunkt. 

Andere Romane sind eher darauf ausgelegt, die Leserinnen und Leser zu unterhalten, indem sie eine spannende oder lustige Geschichte erzählen. In solchen Fällen ist es nicht wichtig, ob der Roman eine bestimmte Message hat. Es zählt nur, dass er die beabsichtigte emotionale Wirkung erzielt.

Fazit

Es kann verlockend sein, Schreibtipps von »Profis« blind zu befolgen, die einem versprechen, Romane mittels einfacher Formeln und Regeln für den Markt zu optimieren. Wir sollten allerdings immer kritisch hinterfragen, ob diese Tipps tatsächlich sinnvoll sind. 

Oft handelt es sich um Halbwahrheiten, die schlimmstenfalls dazu führen, dass immer mehr Bücher veröffentlicht werden, die kaum originelle Ideen beinhalten und bei denen wir das Gefühl haben, die Geschichte in sehr ähnlicher Form schon viele Male gelesen zu haben.

Mach deshalb lieber dein eigenes Ding! Trau dich, mit verschiedenen Techniken und Stilmitteln zu experimentieren, um dich vom Einheitsbrei abzuheben und herauszufinden, was für dich und deine Romane am besten funktioniert.

Dieser Blogartikel mag stellenweise arg pointiert gewesen sein. Es wäre sogar möglich, dass hier und da leicht polemische Töne angeklungen sind. Nun, das entsprach durchaus meiner Intention. Dennoch möchte ich – zum Schluss – darauf hinweisen, dass ich keinem Schreibblogger oder Lektor zu nahe treten wollte und dass der Artikel ganz im Sinne von Punkt 9 einfach nur mit etwas Nachdruck zur Reflexion anregen soll.

***

Welche Schreibtipps hast du schon gelesen, die du im Leben nicht befolgen wirst, weil du sie absolut dämlich findest? Und welche Schreibtipps hast du, die Autoren stattdessen befolgen sollten?

Kommentare (2)

  1. Sarah

    Hi
    Bei den starken weiblichen Figuren musste ich schlagartig an “Attack on Titan” denken und daran, dass Mikassa Ackermann von fast allen Fans als das beste Beispiel eines starken weiblichen Charakters angesehen wird. Warum? Ich habe keine Ahnung. Vermutlich, weil sie sich und ihre Freunde verteidigen kann? Sie ist die bessere Kombattantin als ihre beiden männlichen Freunde? Das wirkt zwar in der Welt glaubwürdig (sie wird auch als eine Ausnahme dargestellt), aber das allein macht sie nicht zu einer starken weiblichen Figur.
    Im Gegenteil. Sie macht sich über alle Maßen von dem männlichen Hauptcharakter abhängig, strickt ihr ganzes Leben darum, von ihm anerkannt zu werden – und geliebt – und fällt schließlich in eine Krise, als er nicht mehr ihrem “Idealbild” entspricht.

    Sie ist immer noch der “Märchenprinzessin-Typ”, außer, dass sie den Drachen vermöbeln kann *schulterzuck*

    Viele Leute fallen heute in diese Falle, dass ein weiblicher Charakter dann ein starker Charakter ist, wenn es sich eben nicht um die Jungfrau in Nöten handelt. Nur ist das nicht der Punkt. Der Punkt ist Selbstbestimmtheit – nicht körperliche Stärke.

    1. Patrick

      Hi Sarah! Ich muss gestehen, dass ich “Attack on Titan” und die Figur nicht kenne, aber ja, das klingt tatsächlich nach einem guten Beispiel, wie man es meiner Meinung nach nicht machen sollte.

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