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L’Art dans l’Art: Kunst in »Zeichen von Herbst« und »Gegenlicht«

Beitragsbild L'Art dans l'Art

Mein Debütroman darf ruhigen Gewissens als Künstlerroman bezeichnet werden. Auch im Komplementärwerk ist Kunst ein Element, das in vielen Formen und Facetten vorkommt. Warum ist das so? Und was spricht ganz grundsätzlich für Kunst als zentrales Motiv von Gegenwartsliteratur?

Sowohl in Zeichen von Herbst als auch in Gegenlicht spielt Kunst eine wichtige Rolle. Das erste Werk handelt zu großen Teilen von Miroirs Ambitionen als interdisziplinärer Künstler, den notwendigen Bedingungen seiner Arbeit und der Quelle seiner Inspiration – genauer gesagt: der Suche danach. Während der Fokus meines zweiten Romans zwar eher auf zeitgenössischen als zeitlosen Themen liegt, findet Kunst auch hier wiederholt Erwähnung: Die männliche Hauptfigur Elias ist künstlerisch aktiv, die Protagonistinnen Romi und Nova entscheiden sich für ihr (platonisches) »Date« für den Besuch eines Konzerts, und die von Rahel koordinierte Reise führt die Gruppe bereits zu Beginn in eine Art Künstlerenklave.

Aber warum denn eigentlich Kunst?

Wie in einem früheren Artikel erläutert, geht es mir als Autor bei meinen Romanthemen in erster Linie um Ideen, um Konzepte. Um Ideen und Konzepte anschaulich darzulegen, eignen sich Geschichten. Ein Roman stellt aufgrund seiner Länge die geeignete Leinwand dar.

Der Fokus auf Kunst nun ist naheliegend, denn Kunst selbst versucht ebenfalls genau das: Ideen durch eine besondere Form der Darstellung begreifbar zu machen. Gute Kunst erreicht uns dabei nicht nur als Informationsquelle, als Möglichkeit, sich auf mehr oder weniger unterhaltsame Weise zu bilden, sondern sie erreicht uns auch emotional. Als mathematische Formel ausgedrückt, ist Kunst gleich Emotion plus Information. Wie wir den Anteil an Information und Emotion gewichten, ist individuelle Präferenz. Allerdings lässt der große kommerzielle Erfolg hochgradig emotionaler, intellektuell hingegen wenig anspruchsvoller Bücher, Filme und Spiele darauf schließen, dass die meisten Werke in erster Linie für den unmittelbaren Effekt gelesen, gesehen oder gespielt werden. (Was im Übrigen keineswegs heißen soll, dass nicht beides, also emotionale Wirkung und intellektueller Anspruch, möglich wären.)

Ein künstlerisches Werk, in dem es um Kunst selbst geht, verdeutlicht die Intention des Autors – die Vermittlung von Ideen –, indem sie genau diese Intention auf Figuren überträgt und durch ihn aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Auch Leser, die mit der Produktion und dem eigentlichen Sinn von Kunst – der Interpretierbarkeit und einer sich daraus ergebenden »sekundären Wirkung« über die emotionale Stimulation hinaus – wenig Berührungspunkte hatten, erkennen anhand der Bestrebungen und Gedankengänge der Figuren, dass mehr als eine oberflächliche Lektüre möglich, ja empfohlen ist. Im Idealfall verstärkt dies die Bereitschaft, sich mit den Themen besonders ernsthaft auseinanderzusetzen.

Die Bedeutung der Natur als Katalysator

Neben der Kunst spielt noch etwas anderes eine zentrale Rolle in meinen Romanen (und im Übrigen den Lyrics von träumen von aurora, meiner Band): die Natur. In Zeichen von Herbst erzählt Aske von den Wäldern Norwegens, in deren katharsische Wirkung sie ihre Hoffnung gesetzt hatte. Die jüngere Schwester Emilia bewundert die Natur in einem späteren Kapitel aus der Ferne. Beide finden Entspannung zuerst im Garten hinter dem Haus und dann in den Gärten hinter dem Palais. Auch andere Figuren, allen voran Iris, schätzen die Idylle der Natur. Selbst Provokateur Edgar bevorzugt als Ort des morgendlichen Bierkonsums die Bank im Park – im ersten Teil des Romans jedenfalls.

Die literarische Verarbeitung von Natur ermöglicht dem Autor die einfache symbolische Darstellung grundlegender Stimmungen und Emotionen. Der größte Teil der Entwicklung unserer Spezies fand in der Natur statt. Deshalb ist es nicht verwunderlich ist, dass Elemente der Natur – Orte, Tiere, Pflanzen, Phänomene – eine starke Wirkung auf uns haben, und das kulturübergreifend. Die Natur wirkt dabei in gewisser Hinsicht »magisch«: Trotz der Universalität ihrer Wirkung ist es schwer, ebendiese vollständig zu begreifen. Noch schwerer ist es, sie genau so für andere wahrnehmbar zu machen, wie man sie selbst wahrnimmt. Gerade das ist die hauptsächliche Arbeit des Künstlers – an der er stets mehr oder weniger scheitern muss.

Die Natur dient also als Katalysator für das, was der Künstler an Emotion und Information zu vermitteln sucht. Natürliche Elemente vereinfachen nicht nur die Darstellung menschlicher Regungen durch einen Schatz archaischer Symbole, sondern untermalen diese zugleich mit Sinneseindrücken, die jeder Leser kennt: Durch Wind wird der Geist der Veränderung, durch kalten Nieselregen die Durchdrungenheit von Trauer am eigenen Leibe spürbar. Die Wirkung ist unmittelbarer und damit ergreifender, als wenn man den gleichen Sachverhalt durch Begriffe ausdrückt, die abstrakter sind, schlimmstenfalls durch Sprach- und Bildungsbarrieren getrennt von der allgemein verständlichen natürlichen Erfahrungswelt des Menschen.

Kunst = Information + Emotion x Natur?

Kunst funktioniert also, vereinfacht ausgedrückt, am besten als Kombination aus Information und Emotion, Letzteres mit den archaischen Symbolen der Natur als Vermittler und Katalysatoren. Wenn diese Elemente gut ineinandergreifen, fühlen wir uns durch das Kunstwerk nicht nur berührt, sondern auch, im positiven Sinne, belehrt. Wir verstehen mehr als vorher und ziehen daraus eine Befriedigung, die über den unmittelbaren Genuss des Werkes hinausgeht.

Entscheidend für die emotionale Intensität ist die Fähigkeit des Künstlers, die Sachverhalte wirkungsvoll darzustellen. Entscheidend für den Wert der Information andererseits ist selbstverständlich ihre Relevanz, das heißt: die Übertragbarkeit aufs eigene Leben. Klassiker erreichen dies (oder besser: haben dies erreicht), indem sie universelle Themen des menschlichen Lebens behandel(te)n. Auch heute noch können wir etwa den Zorn olympischer Götter nachvollziehen oder verstehen, warum Menschen sich zu Religionen hingezogen fühlen, die auf sehr alten Texten basieren.

Zeitgenössische Werke können stattdessen oder zusätzlich versuchen, die Komplexität der modernen Welt oder Zusammenhänge aktueller Ereignisse auf den Punkt zu bringen. Das schafft, wenn man so will, Klarheit nicht hinsichtlich der Realitäten menschlichen Lebens, sondern hinsichtlich der uns umgebenden Welt und der Gesellschaft. Houellebecqs Werke etwa bestehen zu großen Teilen aus Analysen gesellschaftlicher Zustände und Tendenzen. Die Handlung tritt dabei nicht selten in den Hintergrund.

Künstler- und Nebenfiguren: Kooperation und Opposition

Die richtigen Themen und eine durch natürliche Elemente unterstützte Stimmung sind nur ein Teil dessen, was den »Künstlerroman« ausmacht: Man braucht zudem die richtigen Figuren.

Natürlich ist die Künstlerfigur prädestiniert dafür, einen kunstfokussierten Roman zu erzählen (oder genauer gesagt: die Handlung als Focaliser zu erleben), schon allein dadurch, dass er im Dialog mit den anderen Figuren glaubwürdig eine besonders ausgeprägte Beobachtungsgabe und beeindruckende analytische Fähigkeiten zeigen kann. Einfacher ausgedrückt, wird die Frage »Wer interessiert sich wohl am meisten für all die abstrakten Konzepte, die in diesem Roman vorkommen sollen?« beantwortet mit: »Der Künstler.«

Neben den Künstlern kommen auch andere Figuren zu Wort, die bestimmte Eigenschaften haben. Selbst wenn man nicht selbst Schriftsteller oder Musiker oder Gamedesigner oder Maler oder Regisseur oder auf andere Weise künstlerisch produktiv ist, kann man sich genügend für die Materie interessieren, um tiefgehende Gespräche zu führen. In Zeichen von Herbst kann Aske sich auch als Nichtkünstlerin mit Miroirs Inspirationslosigkeit auseinandersetzen und ihm Vorschläge unterbreiten, wie er diesen Zustand überwinden kann. In Gegenlicht echauffiert sich Romi über Musik, die ihrer Meinung nach ohne jeden künstlerischen Anspruch ist und dennoch ein begeistertes Publikum findet.

Ebenso gut kann eine Figur jedoch kulturell besonders desinteressiert sein. Dann kann sie diese oppositionelle Haltung mit Passion und Vehemenz darstellen und auf diese Weise zur thematischen Vertiefung beitragen. Nova etwa interessiert sich durchaus für Musik, hat jedoch eine recht zynische Meinung zur Funktion von Kunst – eine Meinung, die möglicherweise dem Einfluss ihres Bruders Edgar geschuldet ist, der, wenngleich ihm eine gewisse, vielleicht eigenartige Verklärung künstlerischer Ambitionen und Werke nicht unbedingt fern liegt (»Kunst muss bluten!«), Kunst doch vor allem als Mittel zum Zweck betrachtet.

Fazit

Fassen wir zusammen: Kunst spielt in meinen Romane eine wichtige Rolle, da sie in engem Zusammenhang steht sowohl mit dem »Lebensrelevanten« des Werkes – das heißt: der Information – als auch der emotionalen Wirkung. Letztere ist für viele Leser als direkter Reiz wünschenswert, trägt jedoch auch zur Verdeutlichung des Gesagten durch das »Selbst-Erleben« bei. Dieses Erleben lässt sich durch Naturbezüge illustrieren und intensivieren. Künstlerfiguren sind prädestiniert, über Kunst zu sprechen, andere Figurentypen können aber ebenfalls gute Gründe dazu haben.

Ich gehe davon aus, dass Kunst aufgrund ihrer Nähe zur Gesellschaftskritik und zum Zeitgeist auch in meinen zukünftigen Romanen vorkommen wird, mindestens – wie in Gegenlicht – als Beruf oder Interesse einer einzelnen Figur, die »etwas zu sagen hat«. Das Grüblertum und die Passion sind Attribute, die wir bei einem Künstler nicht nur nachvollziehen können, sondern erwarten. Dadurch kann eine vollkommene Glaubwürdigkeit der leidenschaftlichen Darstellung ungewöhnlicher, doch erhellender Ansichten entstehen. Diese macht den Künstler zu einem Archetypen, der in keinem Roman der Gegenwartsliteratur fehlen sollte.

***

Wie seht ihr das? Findet ihr, dass Künstlerfiguren aktuelle wie zeitlose Themen besser beleuchten können als »Unbedarfte«? Oder ist das Gegenteil der Fall: Sind gerade die sozusagen amateurhafte Betrachtung und die ungefiltert vorgebrachte Gesellschaftskritik durch andere Archetypen das eigentlich Spannende?

Kommentare (2)

  1. Marja

    Ich sehe das zwar ähnlich, aber nicht genauso wie du. Kunst ist für mich immer nur eine Interpretation der Wirklichkeit und damit nur ein Versuch, die Wirklichkeit abzubilden – stark verbunden mit Selektion. In der Kunst wiegt aber für mich Emotion schwerer als Information – also ist der Aspekt der Wirklichkeitsabbildung auch gar nicht so entscheidend.

    1. Patrick

      Ist nicht gerade die (wenn auch selektive) Abbildung der Realität ein Kennzeichen anspruchsvoller Werke? Läuft nicht Kunst, die sich auf den emotionalen Aspekt fokussiert und den informativen vernachlässigt (also eine Aussage vermissen lässt), schnell Gefahr, nur Unterhaltung zu sein?

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